Esel in Griechenland – faszinierende Wesen zwischen Kulturgut und Tierleid auf Santorini
Einleitung
Wenn du in Griechenland unterwegs bist und plötzlich von einem schnaubenden Vierbeiner mit melancholischem Blick überholt wirst, dann weißt du: Der Esel in Griechenland existiert noch im täglichen Alltag. Nicht nur als nostalgisches Fotomotiv oder lebendiges Klischee, sondern als echtes Arbeitstier. Ich erinnere mich an meinen ersten Eselritt damals in Malaga auf einer Esel-Safari. Ich war ein Kind und für mich war es das höchste. Trotzdem ich sehr aufgeregt war, gab mir „mein“ Esel das Gefühl, dass ich gut bei ihm aufgehoben bin. Mein geduldiger und gutmütiger Gefährte auf Zeit.
Damals ahnte ich noch nicht, welch widersprüchliche Rolle diese Tiere in Griechenland spielen. Sie sind einerseits Teil der Identität vieler Inseln und Dörfer und andererseits Opfer eines Tourismus, der sie manchmal an die Grenzen ihrer Kräfte treibt. Dieser Artikel ist eine Hommage und ein Aufruf zum Hinschauen.
Der Esel – Griechenlands traditionsreiches Nutztier
Unverzichtbar auf den Monopatia
Die sogenannten Monopatia, jahrhundertealte Maultierpfade, durchziehen wie ein Netz die griechische Insel- und Bergwelt. Sie verbinden Weiler, Kapellen, Olivenhaine und Zisternen. Sie sind im oft hügeligen, bergigen Hinterland der Siedlungen die schnellsten und direktesten Verbindungen zwischen den Dörfern in den Bergen. Oftmals waren diese Trampelpfade auch geheime Fluchtwege der Bevölkerung bei Angriffen oder auch von Gesetzesübertretern auf der Flucht vor der jeweiligen exekutiven Authorität.
Und wer bepackte Esel in Griechenland auf ihnen balancieren sieht, versteht: Ohne diese Tiere wäre jahrhundertelang kein Leben auf diesen für die Landwirtschaft angelegten Terrassen und Klippen möglich gewesen.
Diese Wege waren meist nicht breiter als ein Handkarren und wurden speziell für Lasttiere angelegt: Mit flachen, trittsicheren Steinen befestigt, Seitenrinnen zur Entwässerung und gelegentlichen „Rampen“, die steilere Anstiege erleichterten werden diese speziellen Monopatia dann als Kalderimi bezeichnet. Auch heute noch werden viele dieser Pfade von Eseln begangen, oft dort, wo der Straßenbau zu teuer oder schlicht unmöglich ist.
Tragen, ziehen, begleiten: Der Esel als Alleskönner
Ob Olivensäcke, Brennholz, Trinkwasser, Baumaterial oder Menschen – der Esel in Griechenland war und ist oft das einzige „Fahrzeug“, das diese Wege bewältigt. In vielen Gebirgsregionen Griechenlands war der Besitz eines Esels früher gleichbedeutend mit Autarkie – und Statussymbol für Selbstständigkeit.
In den engen Gassen der Insel-Dörfer war sein Wendekreis unschlagbar und ist es vielerorts bis heute. Denn die Bauweise, die die Einwohner vor dem Eindringen von Piraten in den Dorfkern schützte, bedeutete enge Gassen und die Überbrückung der Höhenunterschiede in diesen Bergdörfern erreichte man mit Treppen. Diese Gegebenheiten sind für den motorisierten Verkehr nicht erschließbar, so dass auf die verlässlichen Tiere auch heute noch gerne zurückgegriffen wird.
Neben dem Transport war der Esel auch bei der Feldarbeit unverzichtbar: Er zog einfache Holzpflüge, drehte Mühlsteine oder half beim Stampfen von Oliven. Sogar in der kleinen Weinerzeugung diente er als „Wanderhilfe“ mit Weinkübeln an den Seiten und der ihm eigenen Gelassenheit im Blick.
Kulturgeschichte in Fell und Hufen
Esel in Griechenland haben eine solch lange, Jahrhunderte alte Tradition, dass sich um sie herum sogar Redensarten etabliert haben. Sprichwörter wie „O gaidaros prota fernei tin epistrofi“ (Der Esel bringt zuerst das Rückgeld) zeigen, wie tief das Tier im Alltagsdenken verankert ist. In Karikaturen taucht er häufig als sturer, aber loyaler Gefährte auf. In Klöstern und Dorfprozessionen ist er bis heute ein fester Bestandteil.
Besonders vielsagend ist das erwähnte Sprichwort, das wörtlich übersetzt „Der Esel bringt zuerst das Rückgeld“ heißt. Gemeint ist damit eine klassische Warnung vor Menschen, die lieber andere für sich arbeiten lassen oder: Der Dumme schuftet, der Kluge kassiert. Im dörflichen Kontext war damit ursprünglich der ehrliche, aber ausnutzbare Mensch gemeint, dem man Aufträge gibt, aber keine Dankbarkeit zeigt. Genau wie der Esel, der zuverlässig zum Markt trabt, die Waren abliefert und das Geld mitbringt, aber selbst leer ausgeht.
In vielen Karikaturen der Nachkriegszeit wurde der Esel zur Metapher für die arbeitende Bevölkerung: Geduldig, genügsam, ausdauernd, aber ohne Stimme. In dörflichen Faschingstraditionen oder in Theaterstücken stellt er den einfachen Bauern dar, der zwar alles trägt, aber von den „Städtern“ belächelt wird.
Nicht zuletzt spielt der Esel eine große Rolle in religiösen Darstellungen wie etwa beim Einzug Christi nach Jerusalem oder bei der Flucht nach Ägypten. In Griechenland wurden diese Motive lokal adaptiert: Bei manchen Osterprozessionen (z. B. auf Paros oder Sifnos) wird ein Esel festlich geschmückt, weil er als „demütiger Träger des Heiligen“ gilt.
Heute noch im Einsatz – aber wo und wofür?
Autofreie Inseln & enge Dörfer
Auf autofreien Inseln wie Hydra, Thymaina oder Antiparos, Esel in Griechenland übernehmen weiterhin den Transport von allem, was zu schwer für Menschen ist, vom Einkauf bis zur Waschmaschine. Enge Altstadtgassen und Treppen machen moderne Fahrzeuge schlicht unbrauchbar.
Dabei ist autofrei nicht gleich autofrei: Auf Hydra sind motorisierte Fahrzeuge grundsätzlich verboten, mit Ausnahme einiger weniger Versorgungsfahrzeuge für öffentliche Dienste, Müllabfuhr oder Bauarbeiten. Die Esel sind hier nicht nur Tradition, sondern alternativlos.
In anderen Fällen, etwa auf Antiparos oder Folegandros, verkehren auf der Insel sehr wohl Autos, doch in vielen Berg- oder Ortskernen gibt es schlicht keinen Platz für sie. Die Gassen sind oft kaum breiter als zwei ausgestreckte Arme. Hier übernehmen Esel den Materialtransport in die Häuser, führen Müllsäcke an Sammelpunkte oder bringen Baumaterial zu Baustellen, die kein Fahrzeug je erreichen würde.
In den Hanglagen von Symi oder Kimolos sieht man sie noch regelmäßig: Zwei Esel nebeneinander, mit einem Holzjoch verbunden, bepackt mit Baustoffen oder Gasflaschen, während ihr Halter ihnen vorausschlendert. Die Tiere sind nicht nur ein Relikt – sie sind funktional.
Müllabfuhr auf vier Beinen
Besonders eindrucksvollist der sein Stellenwert als treuer Helfer und Begleiter auf Hydra, wo bis heute Müllsäcke in Handarbeit auf Esel geladen werden, die sie zu den wenigen Sammelstellen bringen. Die Straßen der Insel sind so eng und verschachtelt, dass keine Müllfahrzeuge verkehren können. Stattdessen starten täglich Dutzende Maultierführer mit ihren Tieren zur Tour durch die Gassen. Die Müllsäcke werden von Hand eingesammelt, auf die Traggestelle geladen, meist kunstvoll mit Tauen gesichert und dann zum Hafen gebracht, wo große Container auf Boote warten.
Der Ablauf ist eingespielt, oft auch generationsübergreifend: Vater, Sohn, zwei Tiere, ein mobiles System, das nur funktioniert, weil Tier und Mensch perfekt aufeinander eingespielt sind.
Rückzug aufs Land – aber nicht aus dem Alltag
Es gibt Bauern, die bewusst wieder auf Esel setzen – nicht nur aus praktischen Gründen, sondern aus Überzeugung. Sie loben die Geländegängigkeit, die Ruhe des Tieres und vor allem seine Unempfindlichkeit gegenüber Steilhängen und Geröll. Besonders in der ökologischen Landwirtschaft erfährt der Esel neuen Respekt.
Auch im ländlichen Griechenland ist der Esel nicht verschwunden. Vor allem auf kleineren Höfen erlebt er eine kleine Renaissance als klimafreundliche Alternative zu Kleinlastern, als treuer Begleiter bei der Olivenernte oder einfach als Teil einer Lebensweise, die sich dem Fortschrittszwang entzieht.
Tierisch belastet – Esel als „Touristen-Shuttle“
Santorini – Postkarten-Idylle mit Schattenseiten
Die Esel auf Santorini – fast jeder kennt das Bild: Schweißnass, bepackt mit übergewichtigen Touristen, die den steilen Weg von der Caldera hinauf nach Firá oder Oia nicht zu Fuß gehen möchten. Was romantisch wirken soll, ist oft schlicht Tierquälerei.
Die Strecke umfasst rund 600 steile Stufen, viele davon aus glattem Lavagestein. In der Mittagshitze können die Temperaturen auf dem Pflaster bis zu 50 °C erreichen. Die Esel haben meist keinen Hufschutz, kaum Schatten und werden von manchen Treibern mit lautstarker Ungeduld angetrieben.
Mehrfach wurde dokumentiert, dass die Tiere über ihre Belastungsgrenze hinaus eingesetzt werden. Tierärzte berichten von Hautabschürfungen, Rückenschäden und Kreislaufproblemen vor allem bei älteren Tieren, die als „weniger lauffaul“ gelten.
Protest & Schutzbemühungen
Tierschutzinitiativen – allen voran Help the Santorini Donkeys – kämpfen seit Jahren gegen diese Praxis. Es gibt Empfehlungen zum Maximalgewicht (90 kg), offizielle Verordnungen, Meldepflichten bei Verstößen und Info-Kampagnen, auch mit QR-Codes an Hafenmauern. Doch deren Durchsetzung ist schwierig, vor allem in der Hochsaison, wenn täglich Tausende von Kreuzfahrtgästen aufsteigen wollen.
Die Debatte ist auch medial aufgeladen. Einige Eselhalter fühlen sich zu Unrecht verurteilt, da viele von ihnen ihre Tiere gut behandeln und auf tierärztliche Versorgung achten. Die Grenze zwischen Tradition und Touristenattraktion verschwimmt auf Kosten des Tieres.
Esel als Symbol der Ausbeutung?
Das traurige Paradoxon: Während der Esel andernorts für nachhaltige Mobilität gefeiert wird, wird er hier zum reinen Spektakel degradiert. Ein Tier zwischen Kulturgut und Kitsch, zwischen Funktion und Folklore – und das ist wahrscheinlich das größte Drama.
Fazit – Zwischen Romantik und Realität
Der Esel in Griechenland ist kein Relikt, sondern ein lebendiger Teil des Alltags. Er verdient Respekt, nicht nur als Arbeitstier, sondern als Teil der kulturellen DNA des Landes.
Ob auf einem Maultierpfad auf Leros, in den engen Gassen Hydras oder auf einer umkämpften Treppe in Oia: Wer diese Tiere sieht, sollte nicht nur ein Foto machen, sondern auch kurz über diese Lebewesen nachdenken, die -mittlerweile- meistens gut behandelt werden, aber auch unter Ausbeutung und der Skrupellosigkeit einzelner Besitzer leiden.
Hast du selbst einmal einen Eselritt gemacht oder eine besondere Begegnung gehabt? Erzähl es in den Kommentaren!
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